Heimatlexikon Thaleischweiler-Fröschen – 1- Judentum in Thaleischweiler

Das Judentum in Thaleischweiler  (Buch 750 Jahre Thaleischweiler-Fröschen)

Von Gerhard Reischmann

1. Anfänge des Judentums in Thaleischweiler-Fröschen
Es läßt sich nicht genau feststellen, wann die ersten Juden nach Thaleischweiler-Fröschen kamen. Es steht jedoch zu vermuten, daß sie, ebenso wie andere Glaubensgruppen, im Zuge der Neubesiedlung unserer Region, nach dem 30jährigen Krieg nach Thaleischweiler-Fröschen kamen und hier auch seßhaft wurden. Die ersten schriftlichen Unterlagen, die die Existenz von Juden in unserem Ort belegen, finden sich im Jahre 1767. Am 14. November dieses Jahres schreibt ein jüdischer Bürger an den Erbprinzen Ludwig IX. und unterzeichnet sein Anschreiben mit „Joseph Isaac Schulz, Jud zu Thaleischweiler".
Er beschwert sich in diesem Schreiben über das verstärkte Auftreten von „Betteljuden" zu Thaleischweiler, die sich unter dem Vorwand, Handel treiben zu wollen, in Thaleischweiler „eingenistet" hätten und sowohl der „gnädigen Herrschaft" als auch seinem Erwerb großen Schaden zufügten. Sicherlich war vordergründig nicht der Schaden, der der „gnädigen Herrschaft" entstand, der Anlaß dieses Schreibens, sondern verständlicherweise der Schaden, der ihm selbst zugefügt wurde. Insbesondere klagt er darüber, daß die „Betteljuden" vor allem im Münzhandel, -tausch und -kauf sowie durch Hehlerei mit Diebesgut der Bevölkerung und dem seriösen Handel großen Schaden zufügten. Er erläutert weiter, daß allerlei Dienstboten ihre Herrschaft bestehlen würden und das Diebesgut an die „Betteljuden" weitergaben. Er bittet, daß eine Verordnung erlassen werden solle, daß der „kaufende Jud" zu jeder Zeit eine Deklaration der gekauften Waren und Münzen bei sich haben muß, um dem jeweiligen Ortsschultheißen gegenüber jederzeit dokumentieren zu können, wo das gekaufte Gut herkommt. Dadurch wäre dann seiner Meinung nach der täglich auftretende Betrug an Recht und Besitz der Bürger und der gnädigsten Herrschaft zu vermeiden.
Um den Schriftverkehr der damaligen Zeit kurz zu dokumentieren und um Ihnen auch einmal zu zeigen, welche Schwierigkeiten das Dokumentieren solch alter Texte bringen kann, stellen wir hier die Originalschrift vor (Rechtschreibung ist zum besseren Verständnis teilweise angeglichen): „Durchlauchtigster Erbprinz und Gnädigster Fürst und Herr! Es hat sich seit einiger Zeit in Euer Hochfürstlich Durchlauchter hiesigen Residenz eine solche Menge von Betteljuden unter dem Schein einer Commerzie allhier eingenistet, daß nicht nur zum Schaden gnädigster Herrschaft höchst derer Bataillons und Bürgerschaft, sondern auch meines hiesigen Bewerbs allerlei sehr gefährlichen Schleichhandels täglich getrieben werden. Wann nun die Folgen dergleichen Schleichhandel, welche teils in Verwechslung und Exportierung derer guten Münzsorten gegen schlechte und verrufene und teils in Aufkaufung derer durch allerhand Dienstboten entwendet werdender Sachen bestehen, Euer Hochfürstlichen Durchlaucht nach weisester höchster Einsicht selbstgnädig bekannt sind. Es belanget an höchstdieselbere mein untertänigst gehorsamstes Bitten, durch eine emanierende (= zu erlassende) herrschaftliche Verordnung dergleichen höchstgefährliehe und dem gemeinen Wesen sehr schädliche Schleichhandel dergestalten zu verleiten, daß der kaufende Jud jederzeit bei Straf schuldig und gehalten sein sollte, die Deklaration bei des Oberschultheißen oder Berichtsmann tun, damit der recht- oder unrechtmäßige Besitz des verkauften Objekts dann erforschet und dadurch viele fast täglich geschehender Unterschleifung vorgebogen werden möchte.
Und da dieser mein untertänigster Bericht nicht sowohl mein eigenes als höchster Herrschaft und dero Untertanen Interesse zum Ziele hat, so zweifle ich um so weniger an gnädigster Willfahr dieselben und verharre in tiefster Erniedrigung.
Untertänigst gehorsamster Knecht Joseph Isaac Schulz, Jud von hier"
In dieser Form wurden also damals die Schreiben an die „Herrschaften" verfaßt. Die Rückantworten sahen allerdings ähnlich aus, so daß man davon ausgehen kann, daß das eben der damals gängige Schreibstil war. Nach dieser kurzen Exkursion zu dem Schreibstil im 18. Jahrhundert zurück zu der Judenschaft in Thaleischweiler. Es ist nicht bekannt, ob und in welcher Form auf das Schreiben des Joseph Isaac Schulz seitens der Regierung reagiert wurde, man darf aber annehmen, daß Schritte gegen die „Betteljuden" eingeleitet wurden, um Besitztum und Einkommen der Fürsten zu schützen. Von 1767 bis zum Jahre 1826 gibt es keinerlei weitere Unterlagen über Juden in Thaleischweiler. Man darf jedoch davon ausgehen, daß auch während dieser Zeit Juden hier wohnten, denn die jüdische Gemeinde zählte im Jahre 1826 immerhin 15 Familien mit insgesamt 99 Personen.


Die Baugeschichte der jüdischen Synagoge und des jüdischen Schulhauses

Es gibt leider sehr wenige schriftliche Belege zur Baugeschichte des jüdischen Schulhauses und der jüdischen Synagoge zu Thaleischweiler. Von beiden Objekten sind beispielsweise die genauen Erbauungsdaten nicht bekannt. Das wenige, was in Erfahrung gebracht werden konnte, soll jedoch nicht unerwähnt bleiben.
a) Die Synagoge
Die Synagoge ist in ihren Grundzügen heute noch in der Klostergasse 4, Plannummer 138 zu sehen. Man kann davon ausgehen, daß die jüdische Synagoge im Jahre 1825 von der jüdischen Glaubensgemeinschaft gekauft wurde (von wem ist nicht bekannt), da zum Datum der Antragsstellung auf Benutzung einer eigenen Synagoge am 23. Januar 1826 das Gebäude bereits für die Kaufsumme von 600 Gulden von der jüdischen Glaubensgemeinde erworben worden war. Nachdem sich die Glaubensgemeinschaft im Jahre 1912 mit der jüdischen Gemeinde Höheinöd zusammenschloß und dort ihren Gottesdienst abhielt, wurde die Synagoge in Thaleischweiler im gleichen Jahr geschlossen. In den Jahren danach hat ein Herr August Ludy, Schuhfabrikant zu Thaleischweiler, das Gebäude erworben und war bis zum Jahre 1932 Eigentümer. Von 1932 bis 1953 waren als Eigentümerinnen Frau Anna Schweitzer geb. Engelbrecht und von 1953 bis dato Frau Frieda Allamoda geb. Schweitzer eingetragen.
b) Das jüdische Schulhaus
Das jüdische Schulhaus stand in der Hauptstraße (Plannummer 23) an der Stelle, an der sich heute der Aufgang zur katholischen Kirche befindet. Das Gebäude wurde 1855/56 von Herrn Jacob Levy gekauft und der jüdischen Glaubensgemeinde als Schulhaus zur Verfügung gestellt. Im Jahre 1878 geht das Schulhaus in den Besitz der jüdischen Kultusgemeinde über. Nachdem die jüdische Schule 1880 geschlossen wurde, bleibt die Geschichte des Hauses bis in das Jahr 1929 im dunkeln. Es ist nur bekannt, daß von 1921 bis 1926 die Familien Schmalenberger und Mayr das Haus bewohnten.

Synagoge_Klostergasse_001_400    Altes_Juedisches_Schulhaus_400  
Die alte Synagoge in der Klostergasse Altes jüdisches Schulhaus in der Hauptstraße am jetztigen Aufgang zur katholischen Kirche (abgerissen im Jahr 1932)

Im Jahre 1902 wird der katholische Kirchenbauverein Thaleischweiler gegründet. Die ersten Vorsitzenden waren Pfarrer Hermann Leobold aus Maßweiler und Pfarrer Joseph Hick aus Fehrbach. Dieser Verein erscheint im Jahre 1929 als Eigentümer des Gebäudes der ehemaligen jüdischen Schule. In diesem Jahr wird das Gebäude allerdings als Wohnhaus Nr. 49 im Ort Thaleischweiler mit Stallung und Hof zu 0,027 ha beschrieben. Es ist also anzunehmen, daß das Gebäude zwischen 1902 und 1929 zu einem Wohnhaus umgebaut wurde.
Im Jahre 1929 geht das Gebäude in den Besitz der katholischen Kirchenstiftung St. Margaretha in Thaleischweiler über und wird im Jahre 1932 abgerissen, um für den Aufgang zur katholischen Kirche Platz zu schaffen. Das Grundstück Plannummer 23 ist auch heute noch im Besitz der Kirche.
Ergänzend sei noch erwähnt, daß der Kirchenbauverein nach 1929, dem Datum des Überganges des Schulhauses an die Kirchenstiftung, keinerlei „Aktivitäten" mehr zeigt und im Jahre 1957 im Vereinsregister gelöscht wird. Der gleiche Verein erscheint noch einmal im Jahre 1961 als Verein in Liquidation und wird dann am 3. Oktober 1961 durch den Liquidator, Kurrat Alfons Bungert, endgültig gelöscht.

Kauf und Benutzung der Synagoge


Am 23. Januar 1826 tauchen dann die Juden von Thaleischweiler in der Ortsgeschichte wieder auf. Mit einem Schreiben gleichen Datums beantragen sie bei der Königlich Bayrischen Regierung in Speyer eine eigene Synagoge benutzen und unterhalten zu dürfen. Der Betreff dieses Schreibens lautet im Wortlaut: „Aller untertänigstes Gesuch der jüdischen Gemeinde zu Thaleischweiler um daselbst eine Synagoge nebst einem Lehrzimmer für ihre Jugend mit Wohnung für den Lehrer aus selbsteigenen Mitteln errichten zu dürfen."
Der Antrag war gut vorbereitet. Man begründete ihn zunächst damit, daß die jüdische Gemeinde schon lange das Bedürfnis nach einer ordentlichen, geräumigen Synagoge habe, um dort, wie alle anderen Sekten in ihren Tempeln auch, gemeinschaftlich Gott opfern zu können. Des weiteren wollten sie in dieser Synagoge auch ein Lehrzimmer zur Unterrichtung der Jugend sowie eine Lehrerwohnung einrichten. Sie hatten zu der Zeit, als sie den Antrag stellten, bereits ein Haus (das heutige Gebäude Klostergasse 4 s.a.a.O.) für die Summe von 600 Gulden aus eigenen Mitteln erworben. Für den Umbau zur Synagoge sowie das Einrichten von Lehrzimmer und Lehrerwohnung veranschlagten sie noch einmal ca. 1 000 Gulden. Auch diese Summe wollten sie aus eigenen Mitteln aufbringen. Sie führten weiter aus, daß es ja auch im Sinne der Regierung sein müsse, wenn auch bei der jüdischen Jugend „hinsichtlich der Lehre etwas getan werde, und daß in jeder Religion der Jude wie der Christ seinem Glauben zugetan und treu sein soll." Dieses Gesuch war von zwölf der 15 Bürger unterschrieben. Auf dem nachfolgenden Auszug können. Sie die Originalunterschriften dieser zwölf sehen:

 

JuedischeUnterschriften_400

Am 25. Mai 1827 wiederholten die Juden zu Thaleischweiler dann ihren Antrag zum Bau und zur Unterhaltung einer Synagoge. Es wird noch einmal darauf hingewiesen, daß ein Gebäude bereits gekauft und ein Fonds zum Umbau bereits aus eigenen Mitteln gebildet sei. Scheinbar erfolgt auch auf diesen zweiten Antrag keine Antwort von seiten der Regierung, so daß man auf den gleichen Antrag am 28. Juni 1827 wieder Bezug nimmt und auf eine Antwort drängt.
Am 5. Juli 1827 reagiert dann das Königliche Landkommissariat und stellt einige Fragen, von denen die Genehmigung der Synagoge abhängen sollte. Sie wollten wissen, ob die Judenschaft einen Rabbinatsassistenten einstellen will und ob und wieviel Gehalt sie diesem bezahlen will und kann. Des weiteren erhob sich die Frage, ob sie einen vorschriftsmäßig geprüften Lehrer einstellen und wie sie das Gehalt von 300 Gulden im Jahr für diesen Lehrer aufbringen wollten. In einem Schreiben vom 26. Juli 1827 nahmen die Juden zu Thaleischweiler zu dem o.a. Schreiben wie folgt Stellung: „Da es nur 22 Judenfamilien in Thaleischweiler gäbe, könnten sie unmöglich einen Rabbinersubstituten einstellen, da sie diesem kein Gehalt zusichern könnten. Des weiteren wären sie auch nicht in der Lage, einem ordentlich geprüften Lehrer 300 Gulden im Jahr für die Unterrichtung der Kinder zu bezahlen". In gleichem Schreiben stecken sie ihre Wünsche dann doch etwas zurück. Sie hatten eingesehen, daß ihr Potential von 22 Judenfamilien im Jahr 1827 nicht ausreichte, um die o.a. Lehrkräfte zu bezahlen. Sie änderten ihren Antrag dann dahingehend ab, daß sie ihre Kinder in die hiesige protestantische Schule schicken und die bereits erworbene Synagoge in Anwesenheit des Bezirksrabbiners zu gottesdienstlichen Gebräuchen verwenden wollten. Sie bestätigten im gleichen Schreiben, daß sie auf die Errichtung eines Schulsaales und einer Lehrerwohnung verzichten. Der Antrag reduzierte sich also alleine auf die Benutzung einer Synagoge zu gottesdienstlichen Zwecken. Das Schreiben war unter anderem von folgenden Personen unterschrieben: David May, Alexander Kahn, Lazerus Lesern, A. Stern, Valentin Lehmann und von Bürgermeister Sauberschwarz. Dieser Antrag wurde dann von dem Königlichen Landkommissariat so angenommen und auch genehmigt. Allerdings wurde zur Auflage gemacht, daß die Kinder die protestantische Schule am Ort besuchen, und die Fehlzeiten der Kinder an die protestantische Bezirksschulinspektion und an das Königliche Landkommissariat gemeldet werden mußten. Diese Einschränkung wurde sicherlich seitens der Regierung gemacht, um zu vermeiden, daß eine Schule ohne Genehmigung betrieben wurde.
Die Judenschaft akzeptierte diese Regelung zunächst, verlor aber das Ziel einer eigenen Schule mit eigenen Lehrkräften nicht aus den Augen.


Die jüdische Schule
Am 12.2.1858 schreibt das Landkommissariat Pirmasens an die Königlich Bayrische Regierung der Pfalz/Kammer des Innern, daß die Juden zu Thaleischweiler bereits im Jahre 1854 um den Preis von 400 Gulden ein Haus gekauft hätten und seit dieser Zeit auch als Schulsaal benutzen. Man bittet nun die Regierung den Kauf und die Benutzung nachträglich zu genehmigen und begründet dieses Ansinnen wie folgt: Nach dem Gutachten des Bezirksbauschaffners eignet sich das Gebäude zur Unterrichtung von Kindern, und vor allem ist das Haus, wie auch die Synagoge, bereits aus freiwilligen Mitteln vollständig bezahlt. Für den Umbau der von dem Bezirksbauschaffner vorgeschlagenen Verbesserungen würde man ebenfalls aus eigenen Mitteln Sorge tragen.
Die erste Reaktion auf diesen Antrag kommt am 22. Februar 1858 von der Königlichen Regierung aus Speyer. Das Landkommissariat soll zunächst klären, ob mit dem Bezahlen der Kaufsumme an Nathan Levy (dem Besitzer des Hauses) auch die Forderungen der zwei, respektive drei „widerspenstigen Söhne" Levys befriedigt seien.
Warum die Söhne Levys von der Regierung in Speyer als „widerspenstig" bezeichnet wurden und ob gegen diese in Speyer etwas vorlag, war nicht zu klären. Es ist jedoch anzunehmen, daß man mit den Söhnen Levys bereits schlechte Erfahrungen gemacht hatte und eventuelle Forderungen der Söhne ausgeschlossen haben wollte. Am 22. März 1858 antwortet dann das Landkommissariat Pirmasens nach Speyer, daß nach einem Bericht des Bürgermeisteramtes Thaleischweiler vom 18. März 1858, die Gemeinde Thaleischweiler als „Rechtsinhaberin der widerspenstigen Söhne Levy", durch die Bezahlung des Hauskaufpreises befriedigt, und demnach das Eigentum der neuen Erwerber des Hauses nicht in Frage zu stellen sein dürfte. Dieser letzte Ausdruck „sein dürfte", zeigt jedoch, daß dies wohl doch nicht ganz gesichert war.
Trotzdem erteilte die Königliche Regierung zu Speyer/Kammer des Innern am 27.3.1858 die Genehmigung zum Betreiben der jüdischen Schule zu Thaleischweiler.


Untergang der jüdischen Schule und der Synagoge
Die jüdische Schule zu Thaleischweiler sollte allerdings nur 20 Jahre Bestand haben. Die Königliche Regierung in Speyer hegte im Jahre 1878 den Wunsch, in Thaleischweiler eine konfessionell gemischte Schule einzurichten. Erst nach längerem Zögern entschied sich die Gemeinde nach einer Gemeindeabstimmung für diese konfessionslose Schule. Diese Abstimmung fand im Dezember gleichen Jahres statt (zu dieser Zeit gab es in Thaleischweiler 100 protestantische, 30 katholische und 20 israelitische Schüler). Gegen diese Gemeindeabstimmung legten die Katholiken sofort Rekurs (Widerspruch) beim Königlichen Staatsministerium in München, der übergeordneten Stelle der Regierung Speyer, ein. Das Staatsministerium entschied dann allerdings erst 1880, daß der konfessionelle Charakter der Schulen erhalten bleiben solle. Zugleich wurde verfügt, eine zweite protestantische Schulstelle als Schulverweserstelle einzurichten. In diesem Beschluß war allerdings keine israelitische Schule mehr vorgesehen. Die jüdischen Schüler wurden ausnahmslos den beiden protestantischen Schulen zugewiesen, wie es heißt, mit Rücksicht auf das Alter und die Schwäche des katholischen Lehrers Isenböck. Somit kann das Jahr 1880 als das endgültige „Aus" für die jüdische Schulgeschichte in Thaleischweiler bezeichnet werden.
Die jüdische Synagoge sollte sich noch bis in das Jahr 1910 als Glaubensstätte der jüdischen Gemeinde Thaleischweiler behaupten. Zu dieser Zeit gab es innerhalb der protestantischen Pfarrei Thaleischweiler noch 56 Israeliten, 37 in Höheinöd, 15 in Thaleischweiler und vier in Thalfröschen (1912 werden zum erstenmal auch Juden in Thalfröschen erwähnt). Da die stärkste jüdische Gemeinde in Höheinöd war, bildete sich dort die jüdische Gemeinde der Pfarrei Thaleischweiler. Hier war auch noch ein Vorbeter, der die Gottesdienste in der Synagoge abhielt. Die Thaleischweilerer und Thalfröschener Juden schließen sich 1910 Höheinöd an und geben ihre Synagoge im Jahre 1912 endgültig auf.
In der Pfarrbeschreibung der protestantischen Pfarrei Thaleischweiler von 1912 kann man lesen: „Sie (die Juden) haben daher die Fenster ihrer Synagoge mit Brettern zugeschlagen."
Kurz noch einige Worte zu den jüdischen Friedhöfen. Bis zum Jahre 1878 wurden die Juden auf dem Friedhof der protestantischen Kirche in ThaleischweilerFröschen beigesetzt. In diesem Jahr erhalten sie innerhalb des heutigen Friedhofes in Thaleischweiler einen separaten jüdischen Friedhof und bestatten ab diesem Zeitpunkt ihre Angehörigen auf diesem jüdischen Teil des Friedhofes, der auch heute noch als letzte Ruhestätte in Thaleischweiler Bestand hat.

Das dunkelste Kapitel der jüdischen Geschichte in Thaleischweiler
Auch in diesem Bericht soll und darf das traurigste Kapitel der jüdischen Geschichte nicht fehlen. Der Autor dieses Berichtes hat diese Zeit selbst nicht erlebt; man kann sich aber aus Dokumentationen und nicht zuletzt durch die nachfolgende Erzählung der letzten jüdischen Bürgerin von ThaleischweilerFröschen ein Bild dieser Schreckenszeit und Greueltaten machen. Auch die Juden in Thaleischweiler sollten diese Zeit nicht unbeschadet überstehen. Wie überall im „Tausendjährigen Reich" fielen auch in unserem Ort jüdische Glaubensangehörige in die Hände der damaligen Machthaber. Aus dieser Zeit berichtet Frau Lucie Edrich geb. Levy, die letzte lebende jüdische Bürgerin in Thaleischweiler.
Wir wollen diese Dokumentation im Jahre 1870 beginnen. In diesem Jahr kehrt der in Wallhalben am 26. September 1847 (gest. 7. Januar 1933) geborene Isidor Levy aus Amerika nach Europa zurück und meldet sich als Kriegsfreiwilliger für den 70/71er Krieg gegen Frankreich. Nach dem Krieg gründet er im Jahre 1873 in Thaleischweiler die „Blechschmiede und das Gemischtwarengeschäft" Isidor Levy in der Hauptstraße 47. Im Jahre 1903 gründete sein Sohn Eduard Levy ein eigenes Geschäft in der Hauptstraße 23 (damals Hauptstraße 19) und nimmt zusätzlich noch den Zweig Eisenhandel, Baumaterialien, Licht- und Wasserinstallationen zum Geschäft hinzu. Eduard Levy war ein sehr rühriger Kommunalpolitiker. Er stand der SPD als Fraktionsvorstand vor, war Gemeinderatsmitglied, Mitglied im Bezirksausschuß, im Bezirksrat und im Kreissparkassenausschuß sowie Geschworener an den Gerichten in Pirmasens und Zweibrücken. Dieser Mann, der sich nach heutigen Maßstäben sehr verdient um die Gesellschaft machte, wurde von heute auf morgen gesellschaftlich und politisch mundtot gemacht. Er wurde Ende Februar 1933 verhaftet und in sogenannte „Schutzhaft" genommen. Freunde und Mitglieder der Ausschüsse, in denen er vertreten war, sagten aus, daß sie nicht mehr bereit wären, mit einem Juden unter einem Dach an einem Tisch zu sitzen, Männer, die ein Jahr vorher noch den Rat dieses Mannes schätzten. Kurze Zeit später wurde Eduard Levy, noch in Haft, aller seiner Ämter enthoben. Er starb, verbittert, im Jahre 1934; das Geschäft übernahm Lucie Levy, seine Tochter.
Zunächst macht sich der Terror gegen die Familie nur darin bemerkbar, daß quer über das Fenster ein Plakat mit der Aufschrift: „Nichtarisches Geschäft" gehängt werden muß. Da die Käufer hierauf nicht in dem gewünschten Maß reagieren, muß einige Zeit später ein Schild mit der Aufschrift „Jüdisches Geschäft" angebracht werden. Der Terror verschärft sich in den Jahren danach, Bürger, die in dem Geschäft einkaufen, werden fotografiert und abends zum Parteibüro (heute Bahnhofstraße 16) befohlen. Was man ihnen dort „empfahl", läßt sich leicht ausrechnen. Man versuchte so mit aller Gewalt das Geschäft zu ruinieren und die letzten Juden aus Thaleischweiler zu vertreiben, nicht zuletzt, um sich günstig Schulden zu entledigen. Die Geschäftsbücher wurden von der Partei eingezogen, und die Außenstände eingetrieben. Sämtliche Forderungen der Familie Levy-Edrich wurden so der Parteikasse gutgeschrieben. Der Sohn von Frau Lucie Levy (inzwischen verheiratete Edrich), Horst Edrich, wurde als Sohn einer Jüdin mehrmals aus der Schule verwiesen und von seinen Alterskameraden häufig handgreiflich und sehr schmerzhaft auf seine religiöse Herkunft hingewiesen. Selbst das Blut von Kindern war von dem Haß gegen die Juden vergiftet.
Am 9. November 1938 war im Dritten Reich die Nacht, in der dem „Judentum und dem jüdischen Geschäftsleben" (genannt das Judenpogrom — Pogrom ist die Verfolgung einer Rasse oder Religionsgemeinschaft mit dem Ziel, diese zu vernichten oder zur Emigration zu zwingen) ein Ende bereitet wurde: die Reichskristallnacht. Auslöser und Vorwand der Reichskristallnacht war das Attentat auf den Sekretär Ernst-Eduard von Rath durch den Juden Herschel Grünspan. Ein Tag später, am 10. November 1938, fand diese Reichskristallnacht auch in Thaleischweiler statt. Das Geschäft der Familie Levy-Edrich wird überfallen, was brauchbar ist, gestohlen, das gesamte Mobiliar wird zertrümmert und mit den Verkaufswaren auf die Straße geworfen. Der Leidensweg der Familie Levy-Edrich nimmt seinen schrecklichen Lauf.
Zunächst werden das Haus und jeglicher Besitz enteignet. Die Verkaufsware wurde bilanziert und an ein renommiertes Eisenwarenhandelsgeschäft nach Pirmasens verkauft. Der Erlös des Verkaufes kommt der Parteikasse der NSDAP zugute. Des weiteren wurden in den Kriegsjahren alle jüdischen Gräber in Thaleischweiler durch die NSDAP zerstört. Grabstellen wurden zertrampelt, die Grabsteine umgeworfen und teilweise zerstört. Die Grabsteine, die nach dem Krieg noch vorhanden waren, wurden später auf dem Friedhof wieder aufgestellt und sind dort auch heute noch zu sehen.
Hans Levy, der wohl das Schreckliche kommen sah, stellte im Jahre 1940 einen Ausreiseantrag. Die Papiere wurden beantragt und überraschenderweise auch genehmigt. Kurz vor der Ausreise wurde er verhaftet und in ein Gefängnis nach Ludwigshafen gebracht. Einige Tage später kam die Nachricht aus Ludwigshafen, daß er sich in seiner Zelle selbst erhängt habe. Zwei Tage nach seinem Tod, er war noch nicht begraben, kamen die genehmigten Auswandererpapiere in Thaleischweiler an.
Am 22. Oktober 1940 wurden die Mutter von Hans Levy, Elsa Levy, seine Großmutter Johanna Levy und Ilse Levy, die Schwester von Lucie Edrich geb. Levy, in Thaleischweiler verhaftet. Ihr Leidensweg war zunächst nur bis zu einer Seinebrücke in Paris zu verfolgen. Erst im Jahre 1986 konnte das Schicksal der Angehörigen durch Herrn Horst Edrich geklärt werden — ein grauenhaftes Schicksal. Die oben Genannten wurden nach Südfrankreich in das Konzentrationslager Camp de Gurs (in den Pyrenäen) gebracht. Dieses Lager wurde im Jahre 1942 aufgelöst. Ilse Levy wird am 12. August 1942 mit dem Transport Nr. 18 (mit insgesamt 1 053 Personen, von denen 956 lebend ankamen) von Gurs über Drancy nach Auschwitz geschafft. Elsa Levy folgt am 4. September 1942 mit dem Transport Nr. 28. Beide wurden sofort nach ihrer Ankunft in dem Konzentrationslager Auschwitz vergast. Johanna Levy stirbt am 7. November 1942 kurz vor dem Abtransport nach Auschwitz unter ungeklärten Umständen im Lager Gurs. Erwähnenswert, daß von mehreren tausend Personen, die in Gurs inhaftiert waren, nur eine Frau, nämlich Frau Reinheimer aus Höheinöd, durch einen glücklichen Zufall entkam (sie ist vor einigen Jahren in Höheinöd verstorben).
Zurück nach Thaleischweiler zu Lucie Edrich geb. Levy, die mit ihrem Sohn noch zu Hause war. Bei den ersten Luftangriffen auf Thaleischweiler wurde ihr der Zugang zu den Luftschutzkellern verwehrt. Sie mußte sehen, wie sie das Inferno im Freien überlebte. Erwähnenswert allerdings, daß kurz vor Ende des Krieges der damalige Bürgermeister Heinrich Kaufmann persönlich dafür sorgte, daß auch Frau Edrich mit ihrem Sohn in den Luftschutzkeller durfte.
Die Repressalien sollten jedoch bis zum letzten Tag des Krieges anhalten. So erhielten Frau Edrich und ihr Sohn während des Krieges Lebensmittel- und Kleiderkarten nur in sehr beschränktem Maße, und sie bekamen genau vorgeschrieben, in welchen Geschäften sie einkaufen mußten.
Am 20. März 1945 standen die Amerikaner bereits an der Faustermühle, als noch einmal der letzte Versuch unternommen wurde, auch Frau Edrich und ihren Sohn zu verschleppen. Sogar der Ort ihres wahrscheinlichen Todes stand schon fest. Sie sollten in das Konzentrationslager „Theresienstadt" gebracht werden.
Lucie Edrich weigerte sich zunächst mitzugehen, der Sohn Horst Edrich riß vor drei SS-Leuten, die ihn verfolgten, aus. Es gab eine regelrechte Jagd auf den Jugendlichen durch den Ort. Über Scheunen und Keller flüchtete er und hätte wohl keine Chance gehabt, wenn nicht die Frau des Pfarrers Wilhelmy ihn ins Pfarrhaus geholt und bis zum Einmarsch der Amerikaner versteckt gehalten hätte. Man muß dieser Frau noch heute Respekt für diese mutige Tat zollen.
Am 21. März 1945 war der grauenhafte Spuk, zumindest in Thaleischweiler, beendet. Ein amerikanischer Offizier kam zu Frau Lucie Edrich und sagte wörtlich: „Sie brauchen uns nichts zu erzählen, wir wissen alles."
Wir wollen abschließend zu diesem Bericht der jüdischen Bürger aus Thaleischweiler, die diese Zeit erleben mußten und nicht überleben durften, in Trauer gedenken:
Hans Levy — gestorben 1940 im Gefängnis in Ludwigshafen.
Ilse Levy — gestorben im August 1942 im Konzentrationslager Auschwitz. Elsa Levy — gestorben im September 1942 im Konzentrationslager Auschwitz. Johanna Levy — gestorben am 7. November 1942 im Konzentrationslager in Gurs.

Juedische_Pergamentschriftrolle_400

  Bei Umbauarbeiten im Haus Otto Nagel, Hauptstraße 38, wurde im Jahr 1952 im Türgewände diese Pergamentschriftrolle gefunden. Das Haus wurde nachweislich im 18. Jahrhundert von einem Juden erbaut und um 1800 an die Vorfahren der heutigen Familie Nagel verkauft

Höre, Israel, Jahwe, unser Gott, Jahwe ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Diese Worte, auf die ich dich heute verpflichte, sollen auf deinem Herzen geschrieben stehen. Du sollst sie deinen Söhnen wiederholen, Du sollst von ihnen reden, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst und wenn du aufstehst. Du sollst sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf deiner Stirn werden. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben. Deut. 6, 4-9
Und wenn ihr auf meine Gebote hört, auf die ich euch heute verpflichte, wenn ihralso den Herrn, euren Gott, liebt und ihm mit ganzem Herzen und mit ganzer Seele dient, dann gebe ich eurem Land seinen Regen zur rechten Zeit, den Regen im Herbst und den Regen im Frühjahr, und du kannst Korn, Most und Öl ernten. Dann gebe ich deinem Vieh sein Gras auf dem Feld, und du kannst essen und satt werden. Aber nehmt euch in acht! Laßt euer Herz nicht verführen, weicht nicht vom Weg ab, dient nicht anderen Göttern und werft euch nicht vor ihnen nieder! Sonst wird der Zorn des Herrn gegen euch entbrennen; er wird den Himmel zuschließen, es wird kein Regen fallen, der Acker wird keinen Ertrag bringen, und ihr werdet unverzüglich aus dem herrlichen Land getilgt sein, das der Herr euch geben will.
Diese meine Worte sollt ihr auf euer Herz und auf eure Seele schreiben. Ihr sollt sie als Zeichen um das Handgelenk binden. Sie sollen zum Schmuck auf eurer Stirn werden. Ihr sollt sie eure Söhne lehren, indem ihr von ihnen redet, wenn du zu Hause sitzt und wenn du auf der Straße gehst, wenn du dich schlafen legst Lind wenn du aufstehst. Du sollst sie auf die Türpfosten deines Hauses und in deine Stadttore schreiben. So sollen die Tage, die ihr in eurem Land lebt, von dem ihr wißt: der Herr hat euren Vätern geschworen, es ihnen zu geben, so zahlreich werden wie die Tage, die der Himmel sich über der Erde wölbt. Deut. 11, 13-21
Bei dem vorstehenden Bibeltext handelt es sich um das sogenannte „Shema Jisra'el", das Hauptgebet der Juden und eine Art Glaubensbekenntnis. Es war ursprünglich Bestandteil der Tempelliturgie und wird im Synagogengottesdienst beim täglichen Morgen- und Abendgottesdienst gebetet. Es war auch das Bekenntnis der jüdischen Märtyrer zu dem einen und einzigen Gott der Juden und zu ihrem jüdischen Volk und seiner Geschichte, deshalb ist das „Shema" auch das verbreitetste Gebet für die Todesstunde. - Es handelt sich um den heiligsten Bibeltext für die Juden. Man könnte annehmen, daß irgendein Jude in schlimmer Zeit diesen Text als das Wichtigste für seinen Glauben aus einem Gebetsbuch herausgetrennt und versteckt hat, um es für seine Familie zu bewahren. (Der Text auf dem hebräischen Blatt enthält nicht das ganze „Shema". Dazu gehört noch der Abschnitt Num. 15, 37-41).

Weitere Informationen siehe auch:  www.alemannia-judaica.de/thaleischweiler_synagoge.htm

 

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