Der Hunde-Friedrich, genannt „Hundsfritz"
Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land 1974 - VON ALBERT LENHART
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Hier eine Geschichte von Horst Kiefer, Wallhalben (www.grumbeere-markt.de) - hier clicken!!
Die Sickingerhöhe ist um einen besonders eigenartig geprägten Menschen ärmer, seit F r i e d r i c h W e i ß am 24. März 1956 auf dem St. Josephshof bei Annweiler verstorben ist. Schon fast ein Jahr stand seine Behausung im oberen Schauerbachtal leer und nur wenige wußten um seine neue Heimat zwischen Trifels und Lindelbrunn. Mancher Brief erreichte ihn dort, noch mehr Pakete kamen an. Aber niemals hat ein Lebenszeichen die mancherlei Freunde dieses besonderen Naturmenschen erreicht.
Vielleicht war das Köstlichste an ihm, daß er sich, die Dinge und die Menschen, nicht sehr wichtig nahm. Aus dieser Einstellung heraus ist er in eine Lebensform hineingewachsen, die ihm trotz ihres abstoßenden Äußeren Respekt und Vertrauen, ja Hochachtung und Bewunderung eingetragen hat. Wer mit der Todesnachricht durch die Dörfer der Sickingerhöhe schritt und den Höhleuten ihre Bekenntnisse abfing, der merkte nicht nur dies, er wurde auch Zeuge der eigenartigen Wahrnehmung, daß der Hingang eines guten Menschen immer noch ergriffen macht.
Wo beides, der gute Mensch und die abartige Lebensform sich begegnen, wird stets das Interesse des Durchschnittsbürgers wach. Es hat Friedrichs Bild in Zeitungen
und Illustrierten, auf Tabakpackungen und im amerikanischen Film hinausgezerrt in die weite Weltöffentlichkeit und zu der Schar der vielen Freunde immer neue geworben.
Ihn selbst hat solches Beginnen nie besonders interessiert. Die kleinen Abfindungen halfen ein paar kleine Wünsche zu erfüllen und darüber hinaus war ja stets für das Nötigste gesorgt — im Fleisch geschlachteter Hunde, durch einen kleinen Handel mit solchen und schließlich, wenn ihn wirklich eine Not plagte, durch die Möglichkeit, bei Schuhfabrikanten, Apothekern und ähnlichen Bekannten, sich eine Bitte erfüllen zu lassen. So lebte er buchstäblich in den Tag hinein, vielleicht im Sinne des Schriftwortes: „Macht euch um nichts Sorge!" -
„An den Hunde-Friedrich, Sickingerhöhe" pflegte zuweilen auf einem Brief zu stehen. Immer fand er zu dem graubärtigen, hochgewachsenen Einsiedler in dem romantischen Waldtal beim Dorfe Schauerberg. Selten ist er über den Bereich des ,. Städtedreiecks Pirmasens-Zweibrücken-Kaiserslautern hinausgekommen. In oft arg heruntergekommener Kleidung (er trug nur geschenkte Kleider), einen zusammengewickelten Sack umgebunden, mit Knotenstock und einem nebenherlaufenden Hund, so zog er durch die Dörfer der Höhe, von einem fürchterlichen Gebell schon am Eingang des Dorfes begrüßt. War es Freundschaft, war es Todesfurcht, die alle Dorfhunde auf solche Art sein Kommen melden ließ?
„Ach, der Hundsfritz" pflegte dann jedes nach einem Blick zur Straße zu sagen und fast jeder mochte dann ein gutes Wort mit ihm tauschen. Dabei wurden ihm abgängige Hunde verraten, die man ihm kostenlos überließ. Waren sie jung, schlüpften sie in den Sack; mancher fand schon im übernächsten Dorf seinen Herrn. Etliche auch durften sich in seinem Zuhause noch tüchtig herausmästen, bis sie nach einigen Wochen ein gutes Brätchen abgaben.
Trotz dieser widerwärtigen Lebensweise war Weiß kein gewissenloser Schlächter - er war der Freund der Hunde wie anderer Tiere und besaß ein Geheimnis, sie sich gefügig zu machen und anzuheimeln. Auf jeder Polizeistation wußte man dies und rechnete ihm sein Hundeschlachten nicht als Delikt an. Ein jeder kannte Fritzens Redlichkeit und nie hat jemand, ob Kind, ob Frau, in seiner Waldtalklause etwas zu befürchten gehabt. Das Holz des Waldes war vor ihm ebenso sicher wie jedes sonstige fremde Eigentum. Keine Bauersfrau hat ihm je ein Brot verweigert, wenn er sie versteckterweise darum bat. Streit kannte er nicht. Wie alles, war ihm auch seine Behausung geschenkt. Ehemals wurden dort Knochen zu Dung gemahlen. Beim Verkauf des Besitzes sicherte ein eigner Vermerk dem Hundsfritz die lebenslange Nutzung der schon fast baufälligen Hütte zu. Ihr Inneres war alles andere als appetitlich, rußgeschwärzt, von nicht sehr angenehmen Düften durchzogen. Im Raum zur Linken befand sich unter Fellen und Decken seine Liegestatt, dahinter kläfften die Hunde. Hinter dem Laden zur Rechten trockneten die Felle, stand in Flaschen das Hundefett für Apotheker bereit. In diesem Zuhause verlebte Fritz 45 Jahre. In allen Geheimnissen der Natur, des Tier- und Pflanzenlebens kundig, ist er fast selbst ein Stück Natur geworden. Er wußte über den Fischötter ebenso gut Bescheid wie über Aussehen und Gesang der ihn täglich weckenden Waldvögel.
Zeit und die für uns daran gebundenen Notwendigkeiten waren für Friedrich Weiß ungewohnte Belastungen: er lebte zeitlos. Schlug ihm der Alkohol in den Brennhäusern der Höhendörf er ein Schnippchen, dann pflegte er auch darin zu schlafen. Niemand befürchtete, das etwas verschwinden könne.
Die volle Schnapsflasche war — dies sei eingestanden — ihm gut Freund. Und wieviele Male wurde sie aus angeblicher Freundschaft gefüllt! Aber trotz aller Umnebelung konnte er gerade dann aus einer sehr klaren Charaktereinstellung heraus, unangenehme Wahrheiten sagen, womit er sonst jedermann verschonte. Einen religiös Abgestandenen der über seine Kirche loszog, machte er mit der Bemerkung mundtot, wenn noch Millionen von seiner Sorte kämen und ihr Hundegeschäft gegen ihre Kirche verrichteten, ginge sie immer noch nicht unter. Und dabei war er andern Bekenntnisses, das er freilich nicht praktizierte.
Wollte einer wissen, was diesen Menschen in die Einsamkeit und die absonderlichste Lebensform hineintrieb, ihm könnte man nur dies Wenige mitteilen:
Friedrich Weiß stammt aus angesehener, begüterter Bauernfamilie in Saalstadt. Wegen seiner stattlichen Erscheinung wurde er für das Lehrbataillon des kaiserlichen Leibregiments in Berlin ausgehoben. Spätere Bilder zeigen ihn als , strammen Militärkoch in Zweibrücken. Nach der Entlassung widerfuhr ihm auf der Brebacher Hütte das Mißgeschick, von flüssigem Eisen verbrannt zu werden. Die dabei erlittene Schädigung soll zur Lösung eines Verhältnisses geführt und Weiß bestimmt haben, Junggeselle zu bleiben.
Viele rätseln bei Erinnerungsgesprächen an des Hundefriedrich Leben herum, um den Schlüssel zu seiner Absonderlichkeit zu finden. Erlebnisse und Begebnisse werden noch einmal aufgefrischt. Viele, denen er in schwerer Zeit mit seinen Lebensmittelkarten geholfen, wollten noch ein letztes Mal sein Zuhause sehen, bevor es dem Abriß verfiel. Der und jener wird still und nachdenklich, wenn man ihm die Stätte seines Wohnens zeigt. Es sollte mich dann nicht wundern, wenn er auf ihrem Heimweg wie aus der Erde gewachsen vor ihnen steht und drüben vom Talrand mit seinem Knotenstock herüberwinkt, als wollte er sagen: „Ich pfeif noch immer auf alles — und habs jetzt gut."