Die Sankt-Cyriakus-Kapelle zu Meisenbach
Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land  1974 - VON KARL GUTENSOHN


Rund tausend Autofahrer aus nah und fern, die Beifahrer und die übrigen Autoinsassen nicht mitgerechnet, haben von März bis Ende Mai 1973 im Rahmen des vom Allgemeinen Deutschen Automobilclub veranstalteten Heimatwettbewerbes die auf Seite 5 des Wettbewerbsheftes abgebildete und anonym beschriebene Kapellen-Ruine gesucht und sich bei der Kontrollstelle Nummer 5 des ADAC in der Gaststätte „Pfälzerhof" in Thaleischweiler die vorgeschriebene Kontrollmarke in das Wettbewerbsheft einkleben lassen. Tagtäglich kommen außer diesen Teilnehmern immer noch Autofahrer, wohl nicht als Wallfahrer, wie in alten Zeiten, aber doch in einem löblichen Wettbewerb, und bis zum Schlußtermin Ende September wird erfahrungsgemäß und wahrscheinlich eine Teilnehmerzahl bis zweitausend erreicht sein, ein Besucherstrom, wie er zur Blütezeit der Kapelle bei weitem nicht zu verzeichnen war. Damit wurde diese alte, ehrwürdige, aber leider dem völligen Zerfall preisgegebene und heute selbst in unserer näheren Umgebung wenig bekannte Kapellen-Ruine aus dem Dornröschenschlaf aufgeweckt und in das Rampenlicht einer breiten Öffentlichkeit gerückt. Sie war schon im frühen Mittelalter ein beachtenswerter religiöser Mittelpunkt des Westrichs, Kultstätte und „Wallfahrtsort" der näheren und weiteren Umgebung, erbaut etwa im dreizehnten Jahrhundert vom Kloster Hornbach und dem „Heiligen Märtyrer Cyriakus" (um das Jahr 300 in Rom) einem der 14 Nothelfer und Schutzpatron des Weinbaues geweiht. Die Wege dahin waren damals beschwerlicher wie heutzutage mit dem Auto. Man kam wohl zu Fuß, zu Roß und Wagen, einzeln und in Gruppen,. um dem Nöthelfer Cyriakus seine Nöte des täglichen Lebens darzulegen und ihn im Gebet um Fürsprache zur göttlichen Hilfe zu bitten. Man kam aber auch, wie der Chronist vermeldet, am Pfingstmontag und am St. Cyriakustag, dem B. August, prozessionsweise mit Fahnen, auch aus dem „Zweibrückischen" und aus dem „Sickingischen".
Die Kapellenruine liegt im Gemeindebereich der aus den Dörfern, bzw. ehemaligen Gemeinden Thalfröschen und Thaleischweiler mit Wirkung vom B. Juni 1969 neugebildeten Großgemeinde Thaleischweiler-Fröschen, an einer leicht ansteigenden Berglehne des Brückenberges, südlich der Eisenbahnlinie Pirmasens-Nord-Zweibrücken, inmitten eines mit einer starken Mauer umwehrten, im Jahre 1905 aufgelassenen Friedhofs, verdeckt mit Gestrüpp und hohen Bäumen, etwa 1 Kilometer (lt. Wanderkarte 1250 Schritte) westlich des Ortsausganges von Thalfröschen und ist auf einem sauberen, betonierten Wirtschaftsweg zu erreichen.
An den noch vorhandenen Ruinen ist der Baustil der Kapelle als gotisch zu erkennen. Der Eingang war im Norden, wo noch eine Tür mit Spitzbogenwölbung gut erhalten ist. In der Nordfassade sieht man auch noch Teile gotischer Fenster. Das Chor lag im Osten; die Grundmauern des Chorraumes sind noch vorhanden. Vom Schiff aus führte ein Rundbogen in den rechteckigen Turm, der im Westen das Kirchlein flankierte. In der Nordwand befindet sich eine kleine, kreisrunde Öffnung mit schrägem Gewände, aus einem Quader gehauen, in einer rechteckigen Wandnische, in Art eines romanischen oculus, (Lateinisch Auge) im Volksmund irrtümlich als „Beichtloch" bezeichnet. Es handelt sich aber wohl eher um eine Öffnung zur Aufstellung einer Totenleuchte zum Friedhof hin. Das Innere war mit einem hölzernen Bild des Heiligen Cyriakus geschmückt. Rings in die Wände waren Broncereliefs in regelmäßigen Abständen eingelassen. Sie stellten Szenen aus der heiligen Schrift dar. Ein solches Reliefbild ist uns dadurch erhalten geblieben, daß es mit Steinen der Kapelle in ein Haus in Thalfröschen eingebaut worden ist. Es stellt das Wunder der Elisa mit den Ölkrügen der Witwe dar und trägt die Unterschrift: „Im 2. BVCH DER KÖNIGE AM 4. Cap". Im Jahre 511 waren die Alemannen bis südlich Straßburg verdrängt. Von diesem Jahre an datiert der Beginn der Frankenherrschaft.
In diese Zeit fällt auch der Ursprung des „uralten" Dorfes Meisenbach (früher auch Meisinbach, Maysenbach, Maisebach), das viel älter ist als die mit ihm verbundene Kapelle. Eine Menge heute noch bestehender Flurnamen weist auf die Größe und Bedeutung dieser Siedlung hin:
„Meisenbacher Wald", „ober und unter der Meisenbach", „unter den drei Brunnen", „Hinter der Meisenbacher Dell", „Im Meisenbacher Tälchen", „Meisenbacher Äcker". Das Dorf Meisenbach, in dessen Bereich die Kapelle errichtet wurde, ist die älteste fränkische Siedlung unserer Gegend. Nach Biundo wird als Gründungsjahr 520 angenommen. Was den Namen selbst angeht, so gibt sich die Silbe „bach" leicht als fränkisches Grundwort zu erkennen. Der erste Teil „meisen" entspricht dem althochdeutschen „Mios" dem mittelhochdeutschen „mies" und bedeutet Sumpf. So würde also Meisenbach einen sumpfig fließenden Bach, bzw. eine Ansiedlung an einem solchen Bach bedeuten. Gemeint ist natürlich der Schwarzbach, früher auch Erbach genannt.
Und so verstrichen Jahre, Jahrzehnte und noch längere Zeiträume, ohne daß die bekannten historischen Quellen über das Dorf Meisenbach und seine Kapelle etwas aussagten. Erst wieder aus dem 16. und 17. Jahrhundert ist bekannt:
Graf Philipp V. von Hanau veröffentlichte 1572 eine lutherische Kirchenordnung.
Jedenfalls bestand eine lutherische Pfarrei mit ihrer St. Margarethenkirche in. Eischweiler und 1567 gehörten zu dieser Pfarrei Eischweiler, Einöd, Fröschen und Herschberg. Das war alles, was von den 13 Pfarrorten der katholischen Zeit übrig geblieben war.
Meisenbach hatte zu jener Zeit seine Eigenschaft als Filiale verloren und war so unbedeutend geworden, daß es gar nicht mehr als Ort genannt wurde. Seine Kapelle war schon 1579 halb zerstört. Die Tragik in der Betreuung und in der Erhaltung der einst so schmucken Cyriakus-Kapelle bestand in dem endlosen und verhängnisvollen Streit um die Eigentums- und Besitzverhältnisse der Kapelle zwischen Katholiken -und Lutheranern, der sich bis in die 20er Jahre des 18. Jahrhunderts hinzog.
Eine neue Periode begann durch die französische Reunion auch für die Meisenbacher Kapelle. Amtsschaffner Fleischmann in Pirmasens berichtet 1717 über die Kapelle folgendes: „Vor den Reunionen sei die Kapelle von keinem Geistlichen bedient worden, es war vielmehr eine Wildnis, daß man kaum noch den Kirchturm sehen konnte. Die Kapelle sei Tag und Nacht offen geblieben und es käme dahin zu beten und zu opfern, wer wolle. Die Opfer sollen die armen Leut abgeholt haben. Gleich zu Beginn der Reunionen wäre die Kapelle nach dem Befehl des Bischofs von Metz durch katholische Geistliche vom selben Bistum, teils von Herrn Karl Royer von Zweibrücken, teils von Homburg, Hornbach und Rodalben versehen worden, bis sie dem jeweiligen Geistlichen von Nünschweiler anvertraut wurde. Auf den Pfingstmontag und am St. Cyriakustag, den B. August, ging man jährlich prozessionsweise dahin mit Fahnen, teils aus dem Zweibrückischen, allwo sich unterschiedlicher Herrschaften Untertanen versammelten, teilweise auch aus dem sickingischen, gleichfalls mit Fahnen." Das alles geschah, obwohl die Buchsweiler Regierung unterm 2. Juli 1693 die Kapelle für lutherisch erklärte, da im Normaljahr 1624 die Lutheraner im Besitz der Kapelle gestanden hätten. Jedoch zur Befriedigung der gesteigerten religiösen Bedürfnisse der Katholiken ließ sich sogar ein Pater bei der Kapelle nieder. Unterm 11. April 1698 berichtete der Amtsschaffner Schmidt von Pirmasens nach Buchsweiler, verwichene Woche sei der Pater von Meisenbach abgezogen, daraufhin hätten zwei lutherische Untertanen allsogleich Possession bezogen.
In der Chamoyschen Liste, welche die in der berüchtigten (Biundo) „Ryswicker" Klausel vorbehaltene freie katholische Religionsausübung für 29 Orte auf nicht weniger als 1 922 ausdehnte, wird über Meisenbach gesagt:
„La Chapelle du dit heu par les Catholiques seuls".
zu Deutsch: „Die Kapelle des besagten Ortes gehört in den alleinigen Besitz der Katholiken".
„Ryswick/Rijswijk": Niederländische Stadt in der Provinz Südholland, südlich von Den Haag. Der Friede von Rijswijk 1697 zwischen Frankreich einerseits, den Niederlanden, Großbritannien und Spanien (20. IX.). sowie Kaiser und Reich (30. X.) anderseits, beendete den pfälzischen Erbfolgekrieg. Frankreich gab alle im Krieg und als Reunion weggenommenen Gebiete (außer dem Elsaß mit Straßburg und Landau) zurück und setzte die sogenannte oben erwähnte „Ryswicker Klausel" durch.
Auf Grund dieser Liste ergriff nun der katholische Pfarrer von Nünschweiler, Esmangart Bournonville, Besitz von der Kapelle. Er ließ 1701 die Schlösser am Opferstock der Kapelle abschlagen und das Geld wegnehmen, bis auf ein Memorial des Wilhelm Ludy, „Untertan im Meisenbacher Hof", woselbst die Regierung in Buchsweiler die Weisung gab, die Opferstöcke täglich wegzunehmen und den Inhalt dem Kirchschaffner abzuliefern.
Seit dem Westfälischen Frieden, der allen Konfessionen Gleichberechtigung verlieh, ließen sich auch Katholiken und Reformierte im Orte Eischweiler nieder. Da besannen sich auch wieder die Lutheraner in Fröschen auf ihre alten Rechte und Pfarrer Helmstetter hielt 1724 zweimal im Anschluß an Beerdigungen Gottesdienst in der Meisenbacher Kapelle. Dadurch wurden die Katholiken von Nünschweiler veranlaßt, das alte Cyriakusbild heimlich aus der Kapelle fortzuschaffen. Das taten sie denn auch 1728 auf Veranlassung ihres Pfarrers Royer und stellten das Heiligenbild unter einem Bogen ihrer Kirche in Nünschweiler auf.
Aber schon 1732 benutzten die Bewohner des Meisenbacher Hofes die Kapelle als Stallung. Die Kapelle selbst, wohl von Katholiken der Umgebung wieder notdürftig hergestellt, diente noch als Wallfahrtsort für das benachbarte Sickingen, bis diese Wallfahrten 1750 auf nachdrückliche Beschwerden der Hanauer Grafen eingestellt wurden. 1739 baten zwar die Katholiken noch einmal, das zerfallene Gotteshaus zu Meisenbach wieder aufbauen zu dürfen. Diese Bitte wurde ihnen aber von der Regierung abgeschlagen.
Das war wohl eine Fehlentscheidung und damit war leider der Zerfall der einst so schönen Kapelle unaufhaltsam geworden. Und so grüßen uns heute von der Meisenbach nur noch die kärglichen Überreste eines Jahrhunderte alten verehrungswürdigen Kirchleins.
Aber dessen war bedauerlicherweise noch nicht genug. Was der Zahn der Zeit durch Wind und Wetter, Schnee und Eis nicht vermochte, das haben Rowdys wiederholt und fortwährend in sinnloser Zerstörungswut vollendet. Das anerkennenswerte und auch erfolgreiche Bemühen der früheren Gemeinde Thalfröschen und ihres Altbürgermeisters Albert Schoch in den fünfziger Jahren, Kapelle und Friedhof wieder in einen würdigen Zustand zu versetzen, nur mit Gemeindemitteln und ohne öffentliche Zuschüsse, war leider vergebens und wurde wieder von Rohlingen zu schanden gemacht. Nicht ein einziges Grabmal wurde verschont. Alle Steine, darunter Grabmale von beachtenswerter Steinmetzkunst, wurden umgeworfen, teilweise zertrümmert, die Grabumrandungen aus ihren Verankerungen gerissen und auch die Kapelle wieder schwer beschädigt.
Heutiger Eigentümer des aufgelassenen Friedhofs und der Kapelle mit der Flurstücksnummer 416 und einer Grundfläche von 1160 qm ist die politische Gemeinde Thaleischweiler-Fröschen. Der Grundbucheintrag lautet irrtümlicherweise „Ruine Kloster Meisenbach". An dieser Stelle befand sich niemals ein Kloster, sondern nur eine Kapelle, die vom Kloster Hornbach erbaut worden war. Eine Grundbuch- berichtigung wäre am Platze. Ob der heutige Eigentümer mit arbeitswilligen und opferfreudigen Bürgern nicht noch einmal einen Versuch unternehmen wollte, die Kapelle vor ihrem völligen Untergang zu retten? Dies wäre erwünscht und erstrebenswert.
übrigens: In der Gemeinde Lindenberg bei Lamprecht in der Vorderpfalz, auf dem Berge hoch oben über den Häusern des Dorfes, steht eine Kapelle gleichen Namens wie in der Meisenbach (Cyriakus). Diese Kapelle steht im Eigentum der katholischen Kirchengemeinde, hat die Jahrhunderte überdauert, befindet sich in einem sehr guten Zustand, dient heute immer noch religiösen Zwecken und am B. August, dem Cyriakustag, wird ein Fest begangen zu Ehren des Heiligen als „Schutzpatron des Weinbaues". Dann kommen über die Berge auch die benachbarten Winzer von der Haardt aus den Weinorten Gimmeldingen, Königsbach, Niederkirchen usw. zur Kapelle nach Lindenberg. Alljährlich werden Weintrauben der ersten Ernte als Gaben hierher gebracht.
Sollte gar der M. Cyriakus, und das wäre nicht zu verwundern, auch einmal der Schutzpatron des „westpfälzischen Weinbaues" gewesen sein? Ich wiederhole, des westpfälzischen Weinbaues. Ich habe mich nicht geirrt, denn in älterer Zeit war ein Teil des Landkreises Pirmasens und der ganze Landkreis Zweibrücken bis tief ins Saarland hinein ein beachtliches Weinbaugebiet. Darüber mehr und näheres im nächsten Heimatkalender.
Quellen:
1. Biundo: „Geschichte Thaleischweilers und seiner Umgebung". S. 7, 8, 13, 15, 28, 36, 51.
2. Eckardt/Kubach: „Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Landkreises Pirmasens" S. 317,
318, 319, 320.
3. Christmann: „Über die Geschichte von Thaleischweiler". Pirmasenser Heimatblätter vom Wasgau bis Westrich, Nr. 8 v. 3. IV. 1958.
4. Christmann: „Die Verbreitung des Weinbaues in der Pfalz". Pfälzer Heimat 1951, Heft 1.
5. v. Bassermann-Jordan: „Weinbau in der Pfalz im Altertum". 1947, Historisches Museum der Pfalz, Speyer.
6. Colet/Faistenberger: „Lexikon für Theologie und Kirche - 1959 — S. 118,119.
7. Lexikon/Der Neue Herder: 5. Band, S. 410.

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