Die 100-Jahr-Feier der Bahnstrecke, Annweiler - Pirmasens - Zweibrücken von 1875-1975 - 1977
Heimatkalender für das Pirmasenser und Zweibrücker Land  1977 - Von Otto Bauer

 Zum Auftakt: Empfang im Herzogsaal der Stadt Zweibrücken mit zahlreichen Vertretern des öffentlichen Lebens am 25. November 1975. Mit Spannung erwartet, die Rede des Präsidenten der Bundesbahndirektion Saarbrücken, Dr.-Ing. Lamp, und lebhaft begrüßt seine Feststellung:

„Hinsichtlich der Überlegungen zur etwaigen Stillegung wirtschaftlich unrentabler Strecken - unrentabel, weil das Beförderungsangebot der Bahn hier nicht oder nur noch völlig unzureichend in Anspruch genommen wird - darf festgestellt werden, daß diese Eisenbahnstrecke, deren 100. Jubiläum wir heute begehen, nicht zu den Strecken gehört, deren Beibehaltung in Frage stehen würde."
Zu Beginn des Eröffnungsempfangs hatte Zweibrückens Oberbürgermeister Dr. Helmut Fichtner den Gästen ein herzliches Willkommen entboten. Fichtner erinnerte daran, daß sich in der 100jährigen Geschichte des „Geburtstagskindes" das Auf und Ab unserer oft leidvollen Geschichte als Region an der Grenze spiegele. Er begrüßte es, daß ein klärendes Wort gesprochen worden sei, wonach diese Strecke nicht dem Sparprogramm der Bundesbahn zum Opfer falle: „So können wir alle in dem Bewußtsein und mit dem Wunsch in die Jubiläumsfeierlichkeiten gehen, daß die Strecke auch ihr zweites Jahrhundert unbeschadet, ja eines Tages vielleicht unter Strom und mit einer wachsenden Bedeutung zum Wohle unserer Region erleben wird. Vielleicht stehen wir damit heute zu Beginn der Jahrhundertfeier auch am Beginn einer neuen Entwicklungsepoche für diesen Streckenabschnitt einer ewig jungen Eisenbahn."
Die Feierstunde war stilvoll umrahmt von Darbietungen des Kammerorchesters Zweibrücken.
Ein Blumengebinde hatte das Stadtoberhaupt parat für den ältesten noch lebenden Eisenbahner in Zweibrücken, Daniel Schmidt, für den der pensionierte Eisenbahnoberinspektor Fäth das Präsent entgegennahm.
Dem Empfang schloß sich eine Fahrt per Extrazug nach Pirmasens an, wo von Oberbürgermeister Rheinwalt eine DB-Fahrzeugschau eröffnet wurde.
Wie die Bevölkerung an ihrer Eisenbahn hängt, erwies sich auch bei der Gelegenheit zum Lokmitfahren mit Diesel- und Dampflokomotiven: es war -zugleich der Abschied der Dampflok von der Pfalz. Die Senioren, Damen und Herren ab 60 Jahren, sprachen bei der Seniorenfahrt, der Pfalzrundfahrt am 26. November 1975 mit der „Rollenden Weinstraße" „hundertfach" von allen Eisenbahnen ihres Lebens. Was kam da nicht alles aus der Fundgrube der Erinnerung ans Tageslicht. Und wie ist jeder mit der Eisenbahn verbunden in guten Stunden, in bitteren Stunden des Krieges und der unmittelbaren Nachkriegszeit! Und wie wurde das „Kindheitserlebnis Eisenbahn” beschworen. In der Tat: die Bahn hat ein Leben begleitet, ja, sie hat es zum Teil mitbestimmt im Arbeitsalltag wie in Ausnahmesituationen: „Wir haben uns im Zug verlobt", bekennt die alte Dame und lächelt in Erinnerung, „die Hochzeitsreise - natürlich mit der Bahn - im gleichen Abteil begonnen-. . ".
Nächster Höhepunkt: „Das Fest der Reise, DB modern", Information, Folklore, Tanz im Hohenstaufensaal zu Annweiler. Unter den zahlreich erschienenen Ehrengästen konnte der Bürgermeister von Annweiler am Trifels, Hans Stöcklein, die Präsidenten der Bundesbahndirektion Saarbrücken und Karlsruhe, Dr.-Ing. Lamp und Dipl.-Ing. Schwaner, Regierungspräsident Hans Keller, die Landräte Schwetje (Landau-Bad Bergzabern) und Dr. Uelhoff (Pirmasens) begrüßen.
In seinem Streifzug durch die Geschichte der Eisenbahn im südpfälzischen Raum wies Bürgermeister Stöcklein auf die tiefgreifende Beeinflussung der Wirtschaft wie der Landschaftsstruktur durch die Eisenbahn hin, wobei er insbesondere die positiven Auswirkungen auf die Stadt Annweiler und den Fremdenverkehr hervorhob.
DB-Generalvertreter Otto Bauer führte in seiner Festrede unter anderem aus:
„Mit Unterstützung der Städte und Gemeinden wurde es möglich, ein großes Festprogramm zu gestalten. Seit Wochen beschäftigen sich Schüler und Schülerinnen mit dem Mal- und Bastelwettbewerb.
Die offiziellen Feierlichkeiten wurden am 25. November 1975 - dem eigentlichen Geburtstag - bei einem Empfang des Oberbürgermeisters von Zweibrücken von Bundesbahndirektionspriiside•t Dr.-Ing. Lamp vor Spitzenvertretern aus Politik, Wirtschaft und Behörden mit einer richtungsweisenden Rede über die Bundesbahnkonzeption der Zukunft eingeleitet. - Am gleichen Tage eröffnete Ober- bürgermeister Rheinwalt die große DB-Fahrzeugschau in Pirmasens.
Über 5 000 Menschen besuchten diese Schau. Die besondere Liebe der Besucher galt „der guten alten Dampflok", auf der man eine erregende Lokfahrt im Füh- rerstand unternehmen konnte. Am Samstag und Sonntag hatte Zweibrücken eine Fahrzeugschau, zu der über 10 000 Menschen kamen.
Am Sonntag werden Städte und Dörfer bei -unserer Jubiläumsfahrt im Sonder- zug „Deutsche Weinstraße" durch besondere Darbietungen auf ihren Bahnhöfen mitfeiern, so wie es or Jahren bei der Pfalzbahn und der Alscnzbahn war.
Die Schaufenster der großen Kaufhäuser in Pirmasens standen unter den Motto „100 Jahre Eisenbahn". 4 000 begeisterte Kinder lösten am Informationsstand der DB ihre Fahrkarten zur Fahrt mit dem Adlerzug rund um das Warenhaus.
Bei einer Pfalzrundfahrt im Sonderzug „Deutsche Weinstraße« waren die Se- n oren unsere Gäste bei Weck, Worscht und Woi. Da der erste Zug in kurzer Zeit ausgebucht war, mußte ein zweiter Zug gefahren werden. In diesem Zug erfreuten sich auch 100 Kinder der drei Siegerklassen des Mal- und Bastelwettbewerbs aus Thaleischweiler an einer Eisenbahnfahrt.
Unser Jubiläum hat nicht 'haltgemacht vor Direktionsgrenzen. So findet dieser Festabend in Annweiler statt, in einer Stadt, mit der die Saarländer schon Freundschaft geschlossen haben, als dieses Land noch von Deutschland abgetrennt war. Annweiler war und bleibt für uns das ideale Ausflugsziel und Sonderzug- aicL
Daß Direktionspräsident .Schwaner aus Karlsruhe durch sein Kommen die Brücke zwischen den beiden Direktionen schlägt, freut uns besonders.
Zum Schluß noch ein paar Worte über die Eisenbahn: Zehn Jahre früher als in Deutschland rollte in England der erste Eisenbahnzug mit Personen und Lasten über die Schienen. Am 27. September 1825 fuhr die von Stevenson erbaute Lokomotive von Stockton nach Darlington. England feierte sein 150. Eisenbahnjubiläum mit vielen Veranstaltungen. Der Herzog von Edinburgh .eröffnete die Feierlichkeiten.
In einer so kritischen Zeit wie der heutigen fragt sich mancher: Hat die Bahn eine Chance für die Fahrt ins 21. Jahrhundert? Wir sagen, ja!
Die Eisenbahn der Zukunft sieht so aus:
Im Personenverkehr fahren schnelle Züge auf rentablen Strecken zwischen aus.- reichend großen Wirtschaftszentren elektronisch programmiert und automatisch gesteuert auf verbesserten und zum Teil neu zu bauenden Strecken. Dazu kommen leistungsfähige Nahverkehrsnetze im Bereich der großen Städte und Industrie- regionen.
Beim Güterverkelir bleiben die großen Entfernungen der Bahn. überlassen. Der Lkw-Verkehr bildet dichte regionale Netze. Zum Huckepackverkehr kommt der Container- oder Großbehälterverkehr.
Romantiker und manche Techniker lieben immer noch das alte gute Dampfroß. Pragmatiker sagen der Eisenbahn ihr baldiges Hinscheiden voraus. Doch beide werden umdenken müssen. Die Romantiker und Techniker werden erleben, wie elektrische Oberleitung und Computer die Bahn steuern. Die Pragmatiker werden entdecken müssen, daß ein gut funktionierendes Eisenbahnnetz Voraussetzung für eine ebenso gut funktionierende Wirtschaft ist.
Blicken wir einmal über den großen Teich:
Amerika ist vom Pferdewagen direkt auf Auto und Flugzeug umgestiegen. Es gibt dort die großen Ost-West-Verbindungen, aber: was fehlt, ist das Netz, das Eisenbahnnetz. Doch nur ein dichtes Netz von Eisenbahnen erst erzeugt Zivilisation, nicht die Straße, nicht das Flugzeug. Das ist der Grund, warum für die letzte Jahrhundertwende Europas die Worte Fortschritt und Eisenbahn das gleiche bedeuten konnten. Neue Schienenwege zu bauen, war der jeweils entscheidende Schritt in ein neues Zeitalter."
Der Trifels-Chor von Annweiler und die Jägerkapelle Erfweiler umrahmten die stark beachtete Feierstunde, in deren Verlauf Landrat Dr. Uelhoff die Preisträger des Mal- und Bastelwettbewerbs der Schulen auszeichnete. Die Arbeiten waren in den Schalterhallen der Kreissparkassen Pirmasens und Zweibrücken ausgestellt.
Im anschließenden bunten Programm entpuppte sich Anni Becker, die „Pälzer Krott", als großartige Stimmungsmacherin. Ergötzlich ihre „frechen Liedchen", die respektlosen Persiflagen und ihre, wohl durch privaten Vergleich gewonnene Erkenntnis, „daß ein Flirt in der Eisenbahn ungefährlicher sei, als ein solcher auf der Autobahn".
Die Familie Halfmann aus Kaiserslautern, sechsköpfig, musizierte und sang sich in die Herzen der Zuhörer, die Trachtengruppe des Volksbildungswerkes Dahn tanzte. Es war ein „Fest der Reise".
Über den Jubiläumstag selbst, die Hundert-Jahr-Gedächtnisfahrt am 30. November 1975, schrieb Karl Heinz in der „Rheinpfalz": „Wenn die Bundesbahn jubiliert, feiert sie auf der Schiene; so schickt es sich. Die von ihr bedienten Anlieger erinnern sich des Jubels, mit dem ihre Vorfahren einst den ersten Eisenbahnzug als „Anschluß an die Welt" begrüßten, hissen die Fahnen, beordern Musikkapellen, bekränzen Ehrenjungfrauen und feiern festen Fußes zu Lande mit; so ist der Brauch.
Am Sonntag paffte eine „Lustfahrt" von Zweibrücken nach Annweiler: Die Südpfalzstrecke feierte 100. Geburtstag. Ausrichter der Festivitäten war der Generalvertreter Saarbrücken/Kaiserslautern der Bundesbahndirektion Saarbrücken in der Person von Bundesbahndirektor Otto Bauer, Schirmherr der Landrat des Landkreises Pirmasens, Dr. Klaus-Dieter Uelhoff. Der Sonderzug „Deutsche Weinstraße", gezogen von einer Dampflok, die den Krieg überstanden und zwei Millionen Kilometer „auf dem Buckel hat", diente als Jubiläumsgespann. Unter den Festgästen - periodisch auftauchend - Staatssekretär Kurt Jung. Seßhaft an Bord MdL Hermann, Direktionspräsident Dr.-Ing. Lamp und Schirmherr Dr. Uelhoff, sie fungierten als Antwortredner den Glückwünschen der Bürgermeister gegenüber.
Massenzulauf trotz Nieselregen und schwarzen Wolken bezeugte die Eisenbahnverbundenheit der Bevölkerung so deutlich wie die Reden: „Wir stehen ein für unsere Bahnverbindung!", von seiten des Direktionssprechers apostrophiert mit der Bitte, „die Bahn auch zu benützen!".
Aller Wunsch: Gute Fahrt ins zweite Jahrhundert.
Der Fahrtverlauf: In Zweibrücken blies die St.-Martins-Kapelle von Martins-höhe der Bahn den Marsch. Der Lokführer ließ Dampf ab, attraktiv fürs Jubiläumsfoto. Staatssekretär und Rosenkönigin einigten sich auf das Abfahrtssignal.
Contwig: eine uralte Feuerwehrspritze behütete den Zug vor dem Heißlaufen. Bürgermeister Alfred Hüther faßte in Worte, was die Bahn den Gipsern und Maurern (auch den übrigen Contwigern) vor 100 Jahren bedeutet habe. Thaleischweiler-Fröschen: der ganze Ort war auf den Beinen, Ortsbürgermeister und Verbandsbürgermeister, Alois Bauer und Wilhelm Faul, redeten von Gegenwart und Zukunft. Pitmasens Nord wurde stillschweigend passiert (in Pirmasens war Fahrzeugschau). Rodalbens Bürgermeister Paul Durm erklärte angesichts eines erklecklichen Teils seiner Stadtbevölkerung vorsorglich, man werde für die Strecke zu kämpfen wissen und hob ab auf Sozialfunktion und Statussymbol der Eisenbahn.
Mit Musik zum Städtle hinaus. In Münchweiler an der Rodalb reine Kinderstimmen: „Ja das Reisen, ja das Reisen ist famos" und Bürgermeister Karl Herrmann wünschte der Strecke wieder die einstige Zweigleisigkeit. In Hinterweidenthal pochte Bürgermeister Ewald Eitel gar auf die drei Bahnhöfe in der Gemarkung. Und überall Gesang, Musik, beinahe Eisenbahnbegeisterung!
I-lauenstein. Die „Ulanen", von Uniformfans begeistert akzeptiert, spielten auf, Bürgermeister Hugo Leidner hatte für den obersten anwesenden Eisenbahner ein Paar Schuhe mitgebracht. Umtausch bei Nichtpassen gewährleistet.
In Wilgartswiesen wartete Bürgermeister Klaus Weber mit geschichtlichen Details auf: 10,0 000 Gulden bekamen die Wilgartswiesener 1875 für abgegebenes Gelände; -der Holztriftbetrieb auf der Que ch erlag dem neuen Bahnbetrieb.
Rinntllal hatte sich Überraschungen ausgedacht. Ballone stiegen in den Abend- himmel, Böller krachten. Ortsbürgermeister Willy Metzger kam im Zylinder. Die Kinder kriegten Neujahrsbrezeln und Pfarrdiakonin Lore Drum hatte die ganze Eisenbahngeschichte in Verse gefaßt, von den Dorfmädchen vorgetragen: „Damit zu spielen schätzen Söhne - und die Väter noch viel mehr!"
In An.nweiler, der Endstation, sprach Staatssekretär Jung. Bürgermeister Hans Stöcklein lud ein, den'li:'rifelsherolden auf den Rathausplatz zu folgen, wo ein altgedientes prächtiges Karussell und Glühwein die Jubiläumsbahnfahrer erwarteten nebst Vorweihnachtsstimmung, Licht und Leuten. Nun kamen auch die prächtigen Kostüme und Federhüte aus dem Theaterfundus zur rechten Geltung, mit denen junge Kaiserslauterinnen dem Fest den nostalgisch-geschnürten Anstrich gaben."
Es war ein würdiges Jubiläum.

 

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